Gesundheit in der Krise: Antibiotika-Engpässe und Resistenzen erfordern europaweite Lösungen und sichere Rahmenbedingungen

19.11.2024 Pharma Deutschland betont die Notwendigkeit einer neuen Wertschätzung für Antibiotika.

Antibiotika gehören zu den bedeutendsten Errungenschaften der modernen Medizin. Doch ihre derzeitige Ausgangssituation in Deutschland ist bedroht. Lieferengpässe und die rasante Zunahme antibiotikaresistenter Bakterien gefährden die Gesundheitsversorgung weltweit. Anlässlich des Europäischen Antibiotikatags lud Pharma Deutschland am 18. November im Rahmen des Pharma Deutschland Antibiotikatags zu einem Pressegespräch. Ziel war es auf diese drängenden Herausforderungen aufmerksam zu machen. Schirmherr der Veranstaltung war Dr. Georg Kippels, MdB und Obmann der CDU/CSU im Gesundheitsausschuss.

Lieferengpässe und Resistenzen – eine doppelte Bedrohung

„Antimikrobielle Resistenzen stellen eine stetig wachsende Bedrohung für die globale Gesundheit dar und schwächen vor allem fragile Gesundheitssysteme. Die Herausforderung liegt jedoch nicht nur im medizinischen Bereich, sondern ebenso in wirtschaftlichen und strukturellen Hürden“, betonte Dr. Kippels. „Das Marktversagen im Bereich der Forschung an und Entwicklung von neuen antimikrobiellen Wirkstoffen hemmt den Markteintritt neuer, dringend benötigter Wirkstoffe. Gerade hier in Deutschland, mit unserer starken Gesundheitswirtschaft, liegt eine große Chance, innovative Anreizmodelle zu fördern und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Reserveantibiotika aus der Überprüfung des Zusatznutzens im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie herauszunehmen, ist bereits ein sinnvoller Ansatz, reicht zur Bewältigung der Herausforderung aber nicht aus.“

Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, betonte die Notwendigkeit einer europäischen Strategie: „Insbesondere für so grundlegende und lebenswichtige Wirkstoffe wie Antibiotika muss die Arzneimittelversorgung nachhaltiger und in Europa gemeinsam gedacht werden. Es braucht dringend Änderung im EU-Arzneimittelrecht und eine stärkere Stimme Deutschlands in der EU, um gemeinsam versorgungspolitische Initiativen zu entwickeln und voranzutreiben. Nur so kann die Verfügbarkeit von wirksamen Antibiotika ganzheitlich stabilisiert werden.“

Produktion in Europa stärken

Thomas Heil von IQVIA warf einen Blick auf den Antibiotikamarkt in Deutschland: „Pharmahersteller stehen bei der Entwicklung neuer Antibiotika vor unterschiedlichen Herausforderungen.“ Er betonte den Innovationsstau aufgrund der hiesigen Standortprobleme: „In Deutschland tragen nach dem Jahr 2020 eingeführte Antibiotika lediglich 2 Prozent zum Gesamtumsatz mit Antibiotika bei. Wir haben in Deutschland die Herausforderung, dass es einfach keine neuen Antibiotika gibt.“

Thomas Weigold von Sandoz/Hexal AG hob die Bedeutung regionaler Produktionsstätten hervor: „Es braucht Anreize, um Produktionsstandorte in Deutschland zu erhalten. Hier muss künftig viel stärker vernetzt gedacht werden, denn Arzneimittel sind ein integraler Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur. Deshalb benötigen wir einen ressortübergreifenden Ansatz, der Gesundheits-, Wirtschafts-, Umwelt- und Sicherheitspolitik miteinander verbindet, und nicht immer nur neue Auflagen für die Industrie.“

Rationale Anwendung und präzise Diagnostik als Schlüssel

Neben der Verfügbarkeit ist der rationale Einsatz von Antibiotika entscheidend, um Resistenzen zu bekämpfen. Dr. Kippels betonte: „Nur durch präzise Diagnostik und gezielte Behandlungen können wir die Resistenzbildung verlangsamen, die Wirksamkeit existierender Antibiotika erhalten und Reserveantibiotika für den Notfall bewahren. Eine global vernetzte ganzheitliche Strategie, die vor allem wirksame Push- und Pull-Mechanismen miteinander kombiniert, ist der einzige Weg, diese Krise effektiv zu bewältigen.“

Cosima Bauer, Geschäftsführerin des Forschungs- und Beratungsinstituts May und Bauer, unterstreicht die Notwendigkeit eines rationalen Antibiotikaeinsatzes aus versorgungspolitischer und gesundheitsökonomischer Sicht: „Antibiotika sind hoch wirksame Arzneimittel, die zielgerichtet eingesetzt werden müssen, um auch künftig wirksam zu bleiben. Allerdings erhält zum Beispiel bei akuter Pharyngitis aktuell jeder zweite Patient in der Hausarztpraxis ein Antibiotikum, obwohl nur jeder fünfte tatsächlich einen bakteriellen Infekt hat.“ Bauer sieht hier erhebliche und einfach zu realisierende Verbesserungspotenziale: „Point-of-Care-Tests in Hausarztpraxen und Apotheken ermöglichen eine schnelle Identifikation bakterieller Infektionen. So können Patienten mit bakterieller Pharyngitis gezielt behandelt und unnötige Verordnungen vermieden werden. Unsere Berechnungen zeigen, dass der Einsatz dieser Tests für die Krankenkassen budgetneutral ist und gleichzeitig die Versorgungsqualität sowie die Patientensicherheit erhöht.“

Forschung und neue Wertschätzung gefordert

Dr. Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland, forderte in diesem Zusammenhang eine neue Wertschätzung der Antibiotikaproduktion: „Ohne attraktive Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion bleibt die Gesundheitsversorgung gefährdet. Deutschland hat die Chance, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Pharma Deutschland unterstützt gerne die Entwicklung konkreter Maßnahmen, um die Antibiotikaversorgung nachhaltig zu sichern und die Gesundheitskrise durch Resistenzen gemeinsam zu bewältigen.“

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